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China Chengdu

DAS CHENGDU PROJEKT

Die Einladung von Christiane Pott-Schlager, der künstlerischen Leiterin des Stahlsymposiums in Riedersbach, zusammen mit ihr und fünf Kollegen für den neuen Campus der Southwest Jiaotong University in Chengdu/Sichuan, je eine große Stahlplastik zu errichten, war überwältigend.

15 Jahre lang habe ich am Stahlsymposium in Riedersbach in Oberösterreich teilgenommen. 15 Torsi sind dort entstanden, große und kleine. Nun bot sich die Gelegenheit, einen Torso als Großplastik zu verwirklichen – mit der Unterstützung chinesischer Stahlarbeiter. Drei Monate vor Reiseantritt wurden unsere Entwürfe vom Präsidium der Universität begutachtet. Fünf Entwürfe wurden genehmigt, mein “Torso” wurde abgelehnt. Professor Bochu begründete das sehr fein: “I think Alto Hien's work ‘Torso’ is a very nice work, but culture in China is different from the west, particularly the understanding of the human body. We hope that he has a new project as a second choice.” Professor Bochu hatte Recht: Die Selbstverständlichkeit des nackten Körpers in der europäischen Kunst ist in anderen Kulturen nicht so selbstverständlich.

Und so habe ich als zweiten Entwurf eine “Welle” nach Chengdu geschickt.

Die Welle ist ein uraltes Symbol in allen Kulturen. Ausgehend vom Naturerlebnis am Wasser, am Meer, empfinden wir beim Anblick der Wellen ein Gefühl von steter Bewegung und ewiger Wiederkehr, wie der Rhythmus des Atmens, wie der Pulsschlag des Herzens. Die Stimmungen der Seele erfassen uns wie Wellen: eine Welle von Glück, eine Welle von Angst, eine Welle der Sympathie, eine Welle der Gewalt… Das Auf & Ab der Wellen vergleichen wir mit dem Auf & Ab unseres Lebens.

Dichter, Maler, Musiker und Philosophen lieben die Welle als Metapher.

Maschinenbauer, Mathematiker, Geologen, Astronomen – viele Berufe beschäftigen sich mit Wellen. Die Physiker sehen in der Welle sogar das Grundprinzip des kosmischen Seins: Akustik, Licht, Elektrizität, Materie, Energie – alles ist WELLE.

Die Unterstützung der chinesischen Stahlarbeiter sah so aus: Am ersten Arbeitstag erschienen wir in der Fabrik in voller Montur: mit Blaumann, Stahlkappenschuhen, Arbeitshandschuhen, Schutzbrille, Ohrenschützer… um anzufangen. Die Chinesen staunten. Wir staunten – bis uns die chinesischen Dolmetscherinnen klar machten, dass da ein Missverständnis vorläge. Wir dürften den Chinesen auf keinen Fall die Arbeit wegnehmen. Wir, die Künstler aus Österreich und Deutschland, sollen den Arbeitern sagen, was zu machen ist und sie machen es dann. Da niemand von uns chinesisch konnte, war das nur mit Hilfe der Dolmetscherinnen möglich, Studentinnen, die kurz vor ihrem Examen in Deutsch standen. Die Verständigung war immer lustig und pantomimenreich, weil die Fachausdrücke für Metallbearbeitung in keinem Studium unterrichtet werden. Unsere Dolmetscherinnen Doris, Lisa, Viola und Feifan und deren Professor Dr. Hua, halfen uns auch in vielen anderen Belangen weiter.

Meister Ye, der leitende Vorarbeiter der Firma, hat vier Wochen lang versucht, die Stahlarbeiter bei Laune zu halten, die mit den fremdartigen Kunstobjekten manchmal überfordert waren. In sympathischer Erinnerung bleibt, trotz mancher Anspannungen, der Humor von Meister Ye und seinen Arbeitern.

Xu Bochu, Professor der School of Art & Media, Southwest Jiaotong University, hat, neben der perfekten Organisation und Betreuung, uns beeindruckende Einblicke in die chinesische Kultur – einschließlich der chinesischen Küche – ermöglicht, mit Besuchen von Klöstern, Tempelanlagen, Ausgrabungen und Museen und Begegnungen mit chinesischen Künstlern und Sammlern.

Der Arbeitsaufenthalt in Chengdu hat mich und meine Vorstellung von China nachhaltig verändert.